Auf der Arbeit haben wir einen Test gemacht, bei dem herauskam, dass ich eher logisch-konservativ denke, während meine Kollegin eher kreativ-kommunikativ denkt. Seitdem nennt sie mich einen „emotionalen Krüppel“. Das machte mich erst wütend, dann aber wurde ich neugierig auf diese emotionale Welt, die ich bisher eher sachlich gesehen habe.
Ich begann, in Sitzungen nicht m ehr auf die Sachinhalte zu hören, sondern die Menschen zu beobachten. Und ich erhielt erste Erfolge! Selbst als „emotionaler Laie“ konnte ich sofort am Mienenspiel erkennen, wer gerade an- und wer abwesend war, wer zustimmte, wer ablehnend dasaß und wen das alles gar nicht interessierte. Toll! Darauf hatte ich bisher nicht geachtet, sondern mich immer auf die Ziele fokussiert.
Im zweiten Schritt begann ich, die Sätze der anderen nicht mehr rein sachlich zu hören, sondern verschiedene Blickwinkel einzunehmen. Was könnte er sich noch gedacht haben? Passte das Mienenspiel zu der Aussage (ganz wichtig, wie ich festgestellt habe)? Welche Deutungsmöglichkeiten gibt es fernab der Sache noch „zwischen den Zeilen“? Als erstes Resultat dieser Überlegungen wurde ich zickig. Denn wenn jemand sagt: „Warst du beim Friseur?“ muss das ja nicht auf der Sachebene heißen „ich habe bemerkt, dass du beim Friseur warst“, sondern es kann auch heißen „endlich – vorher sahst du vielleicht ungepflegt aus“ oder „oh Gott, was hat der Friseur denn mit Dir gemacht?“ Ich begann das Spiel, absichtlich alles falsch zu verstehen (mit einem Augenzwinkern).
Heute, etwa ein Jahr später, kann ich sagen, dass es eine ganze Welt war, die mir vorher verschlossen war, die ich jetzt zusätzlich erkennen kann. Aber es ist schwer, oft verstehe ich es im rechten Moment nicht, die Ebene herauszuhören, auf der gesprochen wird. Ich habe über mich gelernt, dass ich gerne auf dem Sach- und auf dem Appellohr höre, das Beziehung sohr und das Selbstoffenbarungsohr jedoch noch unterrepräsentiert sind (das merke ich dann an Situationen wie wenn mein Freund sagt: „merkst du nicht, dass ich in den Arm genommen werden möchte?“). Ich muss nicht alles sofort perfekt können (den Perfektionismus gewöhne ich mir u.a. mit diesem Blog ab, der alles andere als so perfekt ist, als dass ich ihn je online stellen wollte). Wichtig ist, den Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn ich nicht aufpasse, sehe ich wie eh und je nur die Sachseite, die andere Welt bleibt dann für mich unsichtbar.
Dabei ist diese emotionale Welt gar nicht so unlogisch, wie ich immer dachte. Man kann sie beispielsweise mit dem Straßenverkehr vergleichen. Wenn ich auf dem Mond groß geworden wäre und komme das erste Mal in die Stadt und sehe Straßen, Autos, Fußgänger, Radfahrer und vieles mehr, bin ich überwältigt, verstehe nicht, nach welchen Regeln das alles funktioniert. Aber wenn ich das Treiben länger beobachte, kann ich die Regeln erkennen, die Ampeln, die den einen fahren lassen und den anderen zum Anhalten anhalten. Beobachte ich noch weiter, kann ich verschiedene Typen von Verkehrsteilnehmern unterscheiden: den Mittelspurschleicher, den Ständigspurwechsler, den Raser, die Schnecke, den Drängler, den Entspannten. All diese Typen gibt es auch im „emotionalen Straßenverkehr“. Man kann Menschen wie Verkehrsteilnehmer nicht pauschal in eine Schublade stecken. Es gibt derart vielfältige Verhaltensmuster und nochmal so viele dahinterliegende Gründe dafür. Aber es gibt eine logische Struktur. Und das ist der Einstieg für mich in diese emotionale Welt! Und ich freue mich darauf!