Ein guter Freund hat mir neulich sein Buch „Aphorismen zur Lebensweisheit“ von Arthur Schopenhauer geschenkt. Auch wenn ich es inhaltlich hier und da depressiv finde, so findet sich doch darin viel Lebensweisheit und ringt mir als Leser oftmals ein Kopfnicken ab.
Ich möchte hier in diesem Beitrag nicht auf eine philosophische Betrachtung, eine Inhalts- oder Sprachstilanalyse oder eine psychologische Begutachtung des Autors eingehen. Das überlasse ich den Leuten, die sich damit auskennen.
Ich möchte dich hier teilhaben lassen an meinen Gedanken und Ideen zu Schopenhauers oberste Regel aller Lebensweisheit (Part A 1 aus dem Kapitel Paränesen und Maximen; Reclam-Ausgabe 2016 S. 126ff).
Schopenhauer sagt: „Als die oberste Regel aller Lebensweisheit sehe ich einen Satz an, den Aristoteles beiläufig ausgesprochen hat (…): „Nicht dem Vergnügen, der Schmerzlosigkeit geht der Vernünftige nach.“ (…) Die Wahrheit desselben beruht darauf, dass aller Genuss und alles Glück negativer, Schmerz hingegen positiver Natur ist.“
Nun hierzu meine eigenen Gedanken und Ideen zur „Schmerzlosigkeit„:
Ist der Mensch gesund, hält er diesen Zustand für normal und zeitlos. Das selbe gilt für Sportlichkeit, finanzielle Freiheit, Karriere, Erwartungshaltungen und vieles mehr. Die Endlichkeit dieses Zustandes bleibt unbewußt. Und dieser Zustand bleibt bestehen, bis eine Krankheit (Verletzung, finanzieller Engpass, Karriereknick, Enttäuschung o.ä.) auf der Bildfläche erscheint.
Dieser Einschnitt im Leben richtet den Fokus des Menschen neu aus; egal ob es sich um körperlichen Schmerz oder Gefühle und Emotionen handelt. Der Mensch richtet die Aufmerksamkeit auf neue Dinge, die bisher im Unbewußten waren und macht sie dadurch bewußt. Egal wie viele dutzende anderer Zustände dieses Menschen weiterhin in Ordnung (und damit unbewußt) sind, der Mensch wird sich unbehaglich oder unglücklich fühlen.
Dadurch bietet sich dem Menschen ein Möglichkeitenfenster, und er hat die freie Wahl, wie er damit umgehen möchte.
Die aus meiner Sicht dümmste, aber am weitesten verbreitetste Art ist diejenige, das Symptom zu verdrängen und weiterzumachen wie bisher. So wird bei einer Krankheit oft der Arzt gebeten, ein Medikament zu verschreiben, damit der Mensch sein Leben schnell genau so (unbewusst) weiterleben kann wie er es zuvor getan hatte. Damit verkennt dieser Mensch die positive Natur dieses Ereignisses. Und er lässt eine Möglichkeit verstreichen, etwas Positives aus dieser Situation mitzunehmen. Das Fenster der Möglichkeit verstreicht in diesem Fall ungenutzt und wird sich in der Zukunft erneut öffnen und dem Menschen eine neue Möglichkeit eröffnen. Dies ist es, was der Volksmund dann als „roter Faden“ im Leben eines Menschen bezeichnet: Situationen oder Krankheiten, die ständig in ähnlicher Form oder in Variationen das Leben durchziehen – bis die Lektion gelernt wurde.
Weiser finde ich, das Fenster der Möglichkeiten dazu zu nutzen, aus dem schmerzhaften Einschnitt im Leben etwas zu lernen, gestärkt daraus hervorzugehen und so das bisher negativ bewertete Ereignis zu dem zu machen, was es eigentlich ist: ein positives Ereignis. Ob etwas positiv oder negativ ist, entscheidet jeder Mensch individuell für sich selber. Und jeder Mensch hat jederzeit die Freiheit, eine Neudefinition für sich vorzunehmen. Dazu muss er nur bereit sein, sich mit sich selber und seiner Situation kritisch auseinanderzusetzen. Kommt der Mensch so mit sich selber ins Reine, kann er gelassen der Situation entgegen sehen und sie geschehen lassen. Diese Integration halte ich für das, was Aristoteles als „Schmerzlosigkeit“ beschreibt. Das gelassene Aushalten oder Durchleben dieser Situation rückt diese aus dem Fokus zurück in das Unbewußte; sie wird zu einem Teil der Normalität. In diesem Fall endet dieser rote Faden und der Mensch erhält neue Impulse und viele andere Fenster der Möglichkeiten als bisher.
Eure Nicole